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      Sonntag im Jahreskreis:    | Es gibt schon Kunstwerke, die zwar sicherlich
    ausdrucksstark gestaltet sind, vor denen man als Betrachter aber dann doch
    mit fragenden Augen steht, weil das, was man sieht, nicht auf Anhieb ausdrückt,
    was der Künstler sich gedacht hat. Das 20. Jahrhundert gilt im Besonderen
    als das Zeitalter der modernen und der abstrakten Kunst. Manchmal hört man
    einen Betrachter sagen: "Sowas hätte ich auch hinbekommen!" Wobei
    anzumerken bleibt, daß das "hätte" hier eben den Unterschied
    macht, denn die Idee ist der Ursprung. Andere sagen: "Ich hätte das
    ganz anders gemacht." Und dieser Gedanke ist gar nicht so neu. Denn bei
    der Restaurierung vieler Kunstwerke in den letzten Jahrzehnten fiel auf, daß
    Bilder später übermalt, Skulpturen mit einer anderen Farbfassung versehen
    oder Kirchenausmalungen einfach übertüncht oder nach der jeweiligen Mode
    neugestaltet wurden. Meint "künstlerische Freiheit" heute, daß
    es einem Künstler frei ist, seinen Gedanken und Ideen Ausdruck zu
    verleihen, so verstand man es früher so, daß jeder Künstler das Recht
    hat, Vorgefundenes nach seinen Ideen zu verändern.Wenn wir an die Zehn
    Gebote denken, dann stehen Menschen auch manchmal wie vor einem Kunstwerk,
    das sie nicht deuten können. Umgekehrt hat man sie früher einfach dem
    Zeitgeist entsprechend umgestaltet. So war in meiner Kindheit aus dem Gebot
    "Du sollst nicht ehebrechen" das vermeintliche Gebot geworden
    "Du sollst nicht unkeusch sein" – was letztlich ein ganz anderer
    Sinn ist. Gottes Gebote darf man nicht ändern , wohl aber muß man sie
    deuten, erklären, damit man das schöpferische Kunstwerk Gottes, das sie
    darstellen, verstehen kann. 
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