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Glaubenszeugnis ohne Verurteilungen Andersdenkender und ohne Verfälschung des Inhalts »zeitgemäß« formuliert

Vaticanum II, gezählt als 21. ökumenisches Konzil, von Johannes XXIII. († 1963) unerwartet einberufen, damit das Glaubenszeugnis ohne Verurteilungen Andersdenkender u. ohne Verfälschung des Inhalts »zeitgemäß« formuliert u. die Kirche erneuert werden könnte, tagte vom 11.10.1962 bis 8.12.1965 in vier Sitzungsperioden, nach dem Tod des Konzilspapstes von Paul VI. († 1978) fortgeführt. Von 2540 stimmberechtigten Personen waren im Durchschnitt über 2000 anwesend. Beobachter aus nichtkatholischen Kirchen u. Fachtheologen hatten großen Einfluß auf die Texte. Nach der Zurückweisung der von der röm. Kurie vorbereiteten Dokumente durch die Mehrheit setzte Johannes XXIII. sie von der Traktandenliste ab; sie wurden jedoch vom Ende des Konzils an zunehmend wieder zur Geltung gebracht. Paul VI. nahm mehrere Eingriffe in die Texte vor, mit denen die hierarchischen Lehr- u. Leitungsansprüche aufrechterhalten werden sollten. Vielfache Kompromisse bei den Formulierungen hatten zum Ziel, die defensiv nach rückwärts gewandte Minderheit zu gewinnen, so daß stets nur wenige Nein-Stimmen u. Enthaltungen zu registrieren waren.

Die in 16 Dokumenten (Konstitutionen, Dekreten u. Erklärungen) enthaltenen Konzilsaussagen lassen sich so ordnen:

1. das theol. Selbstverständnis der Kirche,

2. das innere Leben der Kirche, ihre Liturgie, ihr Lehramt, die Leitungsfunktionen u. »Stände«

3. ihre Beziehungen u. ihr Zeugnis nach »außen«, zur geschwisterlichen nichtkatholischen Christenheit (Ökumene), zu den Nichtchristlichen Religionen, insbesondere zum Judentum, ihr Verständnis der Mission, ihr Verhältnis zur Welt in ihrer heutigen weltlichen Situation, ihre Haltung gegenüber dem heutigen weltanschaulichen Pluralismus (Religionsfreiheit).

Die umfassende Krise des Gottesglaubens wurde vom Konzil nicht herbeigeführt u. auch nicht thematisiert, allenfalls aufgehalten. Aus »Zeitnot« wurden andere dringliche Themen (Empfängnisregelung, Zölibat, Frauenordination) späteren Päpsten überlassen. Eine nachhaltige Wirkung hatte die Liturgiereform Pauls VI. Auf dem Konzil zutage getretene weitere Reformimpulse u. die Einsicht, daß auf argumentativen u. dialogischen Wegen Konsensbildungen zur Förderung kirchlicher Einheit effektiver sind als administrative Maßnahmen u. verordnete Uniformität, wurden nach dem Konzil zunehmend unwirksam gemacht. Ernsthafte ökumenische Anstrengungen wurden durch angestrengte Selbstdarstellungen des Papsttums, folgenlose verbale Beteuerungen u. verstärkte Betonung des kath. Sonderguts (Marienverehrung, Heiligsprechungen, Ablässe usw.) blockiert. Wegweisend für die Zukunft bleiben vor allem das Verständnis von Offenbarung u. Wahrheit, vom Glaubenssinn aller Glaubenden, von den Möglichkeiten der Ökumene u. des Dialogs mit anderen Religionen u. Weltanschauungen.

Aus: Herbert Vorgrimler, Neues Theologisches Wörterbuch,
Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2000, S. 655f.

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